«Es wird jeden Tag etwas realer»

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«Es wird jeden Tag etwas realer»

Lucie Amiguet und Vera Appenzeller begeisterten letzte Woche die ganze Badminton-Schweiz mit ihrem Sturmlauf zur historischen EM-Medaille. Einige Tage später blicken die U19-Bronzegirls auf den bislang grössten Moment ihrer Karriere zurück.
 

Aus dem Feiern kommt sie gar nicht mehr heraus. Kaum war Vera Appenzeller von der Junioren-EM in Belgrad in die Schweiz zurückgekehrt, war schon wieder eine Feier angesagt. Die Ostschweizerin wurde am Dienstag 18 Jahre jung, und natürlich wurde auch dieser private Meilenstein begangen. «Es ist etwas schade, dass der Geburtstag unter der Woche war», sagt Appenzeller, «aber es war sehr herzig. Und im Moment ist die Laune bei uns sowieso immer gut.»

Kein Wunder, dafür ist sie zusammen mit Lucie Amiguet selber verantwortlich. Die beiden Teenagerinnen - Amiguet hatte 22 Tage vorher ihren 18. Geburtstag gefeiert - sorgten in Serbien mit ihrer Bronzemedaille für ein Ereignis von historischer Dimension. Es war ja erst die zweite Schweizer Medaille auf dieser Stufe nach Jeanine Cicognini im Einzel 2005.

«Der grösste Moment in meiner Karriere»

Am vergangenen Samstag erhielten die beiden die Bestätigung für ihre Leistungen - in Form der Medaille, die ihnen umgehängt wurde. «Das war für mich der grösste Moment in meiner Karriere. Diese Medaille war schon lange unser Traum gewesen, wir hatten den ganzen Sommer zusammen darauf hin trainiert und jetzt hatten wir es plötzlich geschafft», fasst Amiguet die Emotionen zusammen.



Was sie erreicht hatten, merkten sie schon bald: Viele Leute gratulierten ihnen, auch solche von ausserhalb der Badminton-Familie und anerkannten den Exploit in dieser Weltsportart. Und halfen damit, den Verarbeitungsprozess zu beschleunigen. Ganz sei dieser aber noch nicht abgeschlossen, sagt Vera Appenzeller: «Ich habe es immer noch nicht richtig begriffen, aber es wird jeden Tag etwas realer.»

Für den Ruhm hatten beide kämpfen müssen. Die EM war ein Zehntages-Anlass, der mit dem Team-Wettbewerb begonnen hatte und dann mit den Individual-Konkurrenzen seinen Abschluss fand. Als Equipe zeigte die Schweiz viel Gutes, bezwang die Slowakei und Österreich, verpasste aber schliesslich im Spiel gegen Schweden die Viertelfinal-Qualifikation buchstäblich um einen Punkt. Die Emotionen seinen aber sehr stark gewesen, sagt Amiguet: «Wir sind alle sehr gut befreundet und es war toll, diese Momente mit den Freunden teilen zu können. Die Energie, die gerade in den jeweiligen entscheidenden Matches auf dem Court und auf der Bank herrschte, war unglaublich.»

Der richtige Umgang mit der Enttäuschung

Das Duo Amiguet/Appenzeller gewann alle drei Spiele und doch war Vera Appenzeller am Schluss nicht zufrieden. Zusammen mit Nicolas Franconville hatte sie im Mixed fünf Matchbälle nicht nutzen können - zwei davon wehrte Schweden mit höchst glückhaften Netzrollern ab. Als das Ausscheiden schliesslich feststand, habe sie anfänglich schon zu beissen gehabt, erinnert sie sich: «Ich habe mir dann aber gesagt: Ich nehme mir die Zeit enttäuscht zu sein, schaue dann aber wieder vorwärts.»

Gesagt, getan: Die beiden verfügten für die Individualwettbewerbe wieder über genügend physische und emotionale Reserven und griffen von Neuem an. Mit Elan und Erfolg: Zusammen erreichten sie den Viertelfinal im Doppel, Amiguet die selbe Runde im Einzel und Appenzeller die Achtelfinals. Der Donnerstag wurde so zur veritablen «Tour de Force», mit vier, respektive drei Spielen auf dem Tagesplan.

Natürlich machte sich auch die Müdigkeit bemerkbar: Bei Amiguet, die nach 13 Partien in der serbischen Hauptstadt noch ungeschlagen war, im Viertelfinal gegen die zwei jahre jüngere und überaus starke Finnin. «Da war ich etwas langsamer als vorher und habe die Strapazen schon gespürt», gibt sie zu.

Um 23 Uhr mussten sie noch waschen 


Der Spielplan wollte es, dass 45 Minuten nach dem Out im Einzel der Doppel-Viertelfinal anstand - es galt also, noch einmal die Müdigkeit und dazu die Enttäuschung abzustreifen. «Es war auch sehr viel Adrenalin im Spiel, und das hat auch geholfen», so Amiguet.

Spätabends folgte dann noch ein ausserplanmässiger «Luxus-Programmpunkt». Die Ladies, welche im Turnierverlauf durch eine Vielzahl farblich perfekt abgestimmter Outfits bestochen hatte, mussten um 23 Uhr in die Waschküche. «Wir hatten nicht gedacht, dass wir so viel Erfolg haben würden», schmunzelt Amiguet.
 

Das Ziel formulierte Vera Appenzeller schon vor fünf Jahren

Ehrgeizig waren sie aber durchaus gewesen. Auf Appenzellers Profil bei der Schweizer Sporthilfe steht bei den mittelfristigen Zielen unter anderem: Halbfinal EM U19 2022. Sie habe es damals zusammen mit ihrem Trainer Iztok Utrosa formuliert, als sie in die Sportschule Wil eingetreten sei. «Das war vor fünf Jahren», sagt sie und lacht.
 

Im Halbfinal war dann schliesslich Endstation, nach dem Gewinn des ersten Satzes gegen Spanien notabene. Beide Schweizerinnen sind mit etwas Abstand überzeugt, dass «mehr drin» gewesen wäre, Amiguet sagt aber auch: «Es gehören immer viele Parameter dazu und wir müssen uns nichts vorwerfen.»

Die beiden Spielerinnen mit Jahrgang 2004 kennen sich schon lange und sind sich früher auch oft in Doppelturnieren im Final gegenübergestanden. Seit rund eineinhalb Jahren spielen sie nun auch zusammen Doppel. «Ich schätze an Lucie auf dem Platz am Meisten, dass sie immer 120 Prozent gibt», sagt Vera und Lucie fügt an, «wir ergänzen uns bestens. Vera ist die Strategin und ich mache mehr mit der Laufarbeit.»

Sehr wichtig für eine harmonische Partnerschaft ist aber auch, dass es neben dem Sport funktioniert. Und das tut es bei den beiden. Vera sagt: «Lucie ist eine mega gute Freundin geworden. Sie ist immer für mich da, kann mit mir lachen und mich trösten.» Ähnlich tönt es von Lucie: «Sie ist meine beste Freundin. Wir haben so viele Gemeinsamkeiten, das ist wirklich cool.»
 

Die Olympischen Spiele 2028 als Fernziel


Auch in Zukunft werden sich die Wege der beiden immer wieder kreuzen. Vera Appenzeller zieht nächste Woche von der Ostschweiz nach Bern und wird fortan mit dem Elitekader im Leistungszentrum in Herrenschwanden trainieren. Lucie Amiguets Umzug in die Hauptstadt ist für nächstes Jahr geplant. Vor den Toren Berns werden beide gemeinsam an ihrem grossen Fernziel arbeiten: Der Teilnahme an den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles. Dass das Potenzial da ist, um grosse Träume erfolgreich umzusetzen, das haben die Tage von Belgrad gezeigt.
 

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